2014 sollte mein Marathon-Jahr werden. Nach zwei erfolgreich gefinishten Marathons nahm ich die Vier-Stunden-Schallmauer ins Visier. Beim Hamburg-Marathon wollte ich sie durchbrechen. Da kam es gerade recht, dass wenige Wochen vor dem Lauf eine Mutter-Kind-Kur im Familienkalender stand. Oder wie ich sie nannte: Trainingslager!
So eine Marathon-Vorbereitung ist ja zeit- und kraftraubend. So als Vollzeit arbeitender Mensch ist das schon eine Herausforderung. Für den Hamburg-Marathon hatte ich mir aber ganz klar das Ziel gesetzt, unter vier Stunden zu laufen. Das musste klappen. Ich hatte mit 4:38 Stunden in Duisburg begonnen, mich ein Jahr später in Berlin auf 4:11 Stunden verbessert und wollte es jetzt wissen.
Zur Mutter-Kind-Kur ins Allgäu
Wie auf Bestellung kam da die Zusage für eine Mutter- und eine Vater-Kind-Kur, die wir zum Glück auch noch gemeinsam im selben Hotel in der selben Klinik verbringen durften. Die Reise führte uns ins schöne Allgäu. Ich schrieb fleißig an meinem Hamburg-Trainingsplan. Die drei Wochen Kur lagen kurz vor der Tapering-Phase, perfekt also, um es richtig krachen zu lassen. Und wie es krachte!
Nun soll so eine Elternteil-Kind-Kur ja in erster Linie dazu dienen, familieninterne Stresssituationen zu lösen oder gar nicht erst aufkommen zu lassen. Im Gespräch mit der Psychologin vor Ort stellte sich allerdings heraus, dass bei uns eigentlich alle Stressfaktoren außerhalb der Familie liegen (Arbeit, Pendeln, Zeitmangel) und wir, naja, gesund sind. An uns liegt es jedenfalls nicht, allenfalls am Mindset.
Sehr sportliches Kur-Programm
Das Kur-Programm war sehr sportorientiert: Aquagymnastik, Nordic Walking, Terrain-Training. Dazu noch schreckliche Dinge wie progressive Muskelentspannung mit Frau Rammelmüller, einer bayerischen Version von Natalie Portman 😍😍😍, oder Kreatives Gestalten, wo ich – umgeben von wahnsinnig kreativen Müttern – eine Stunde lang auf ein Blatt Papier starrte, ohne auch nur den Hauch einer Idee zu haben, was ich da jetzt draufkritzeln könne.
Beim Halbzeitgespräch flehte ich den Arzt an, mehr Sport und weniger Psycho-Sachen in meinen Plan zu schreiben. Denn Entspannung – das war klar – fand ich beim Laufen in der wunderbaren Landschaft. Dafür brauchte ich keine Frau Rammelmüller. Mein Favorit war der Sport-Therapeut, der in seinem ersten Leben Eishockey-Profi war. Bei ihm fühlte ich mich gut aufgehoben.
Und es gab Physio! Und eine Sauna! Und ein Kneipp-Becken!
Übrigens ist so eine Elternteil-Kind-Kur richtig Stress. Das Programm war teilweise sehr eng getaktet. Oft standen zwei Sporteinheiten unmittelbar nacheinander auf dem Plan, oder man musste vom Sport binnen fünf Minuten zu einem Entspannungstraining hetzen. Egal, ICH war ja zum Trainieren hier.
Peinliches Pulsmessen
So freute ich mich immer besonders auf das Terrain-Training, das nichts Anderes war als eine Stunde strammes Spazieren durch den Wald. Vor dem Start sollten wir unseren Puls messen. Viele der anderen Mütter hatten da schon mindestens 80, meiner ruhte bei knapp unter 60. Zehn Minuten später wieder Puls messen. Die ersten Mamas wurden dreistellig, ich stagnierte. Nach dem Training wieder mit gleichem Ergebnis. Das war schon fast peinlich.
Umso ungläubiger waren die Blicke, wenn ich die Mittagspause oder eine größere Lücke im Tagesplan dazu nutzte, meinen Trainingsplan umzusetzen. Die anderen waren erschlagen vom Terrain-Training oder Nordic Walking, ich verabschiedete mich zum Tempo-Dauerlauf oder rannte genüsslich auf umliegende Berge – was für ein wunderbares Training! Noch genialer war es, wenn anschließend Physio auf dem Programm stand.
In der Sauna war ich ebenfalls Stammgast, es gab gesundes Essen, viel Wasser, gute Bergluft und an einem Sonntag einen Test-Halbmarathon in Kempten.
Lange Läufe durch die Berge
An den übrigen Sonntagen standen lange Läufe von 32 km im Plan. Es war herrlich! Das Wetter vor Ostern war noch angenehm kühl. Bei einem langen Lauf fing es unterwegs an zu schneien, als ich auf einer kurvigen und welligen Landstraße durch den Wald und durch Felder lief. Das waren die schönsten langen Läufe ever. Beim allerschönsten allerdings passierte etwas sehr Unschönes: Ich bekam widerliche Schmerzen im rechten Knie. Als ob mir jemand in die Kniekehle treten würde.
Es begann, nachdem ich den recht langen und steilen Weg von der wunderschönen Wieskirche hinunter gelaufen war. Wieder im Flachen angekommen, fuhr mir der Schmerz ins Knie. Immer wieder. Ich konnte mal ein paar hundert Meter laufen, dann musste ich wieder gehen. Ich hatte es noch verdammt weit bis zur Klinik. Irgendwie quälte ich mich weiter und schaffte es mit großen Schmerzen zurück.
Das Seltsame war, dass die Schmerzen nur beim Laufen auftraten und da auch nicht sofort, sondern erst nach einer Weile. Ich machte mehr Krafttraining, mühte mich insbesondere an der Beinpresse ab, um die Muskeln rund ums Knie zu stärken.
Physios kümmerten sich um meine Beine
Die Physios in der Klinik kümmerten sich ebenfalls um meine Haxe, konnten aber die Ursache für das Zipperlein nicht herausfinden. Das Sportangebot der Klinik konnte ich komplett mitmachen und blieb somit fit.
Nach drei Wochen war das Trainingslager die Kur vorbei. Es ging zum Tapering nach Hause. Die ausstehenden Läufe wurden durch mein zickendes Knie beeinträchtigt. Ich schrieb Hamburg schon innerlich ab. Wie sollte ich Marathon laufen, wenn ich keine zehn Kilometer weit kam? Ich beschloss, alles auf eine Karte zu setzen und nur noch kleinste Miniläufe zu machen, wenn überhaupt.
Schock am Abend vor dem Hamburg-Marathon
Bang trat ich die Fahrt nach Hamburg an. Im Hotel abends dann der Schock: Als ich meine Laufschuhe für den kommenden Tag schon mal bereitstellen und mit dem Chip versehen wollte, fand ich, dass das Innere der Treter irgendwie komisch aussah. Da fehlte etwas. „Ich habe die Innensohlen zu Hause vergessen!“, rief ich, und meine Frau musste mir ausreden, nach Dortmund zu fahren, um mal eben die Innensohlen zu holen.
Ich hockte auf dem Bett, verabschiedete mich von meinem Marathon und schaute mit gesenktem Kopf zu Boden. Da standen vor dem Bett Schuhe. Laufschuhe. Die Laufschuhe, in denen ich den ganzen Tag lang durch Hamburg gelatscht war. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass da vermutlich auch Innensohlen drin sein müssten. Es waren Nike Zero, in denen würde ich keinen Marathon laufen wollen, aber die Innensohle müsste doch in meine Asics passen… Natürlich passte sie!
Ich glaube der Schuh-Schock vom Samstagabend hat mein Knie geheilt. Beim Marathon jedenfalls war vom fiesen Kniekehlen-Zicken nichts zu spüren. Ich hatte den Vier-Stunden-Ballon immer fest vor Augen, lief gleichmäßig wie ein Uhrwerk und überquerte nach 3:58 Stunden die Ziellinie! Es war ein perfekter Marathon – dank des hervorragenden Trainingslagers in einer Allgäuer Mutter-Kind-Klinik.
Political Correctness
Warum ich eine Mutter-/Vater-Kind-Kur für mein Marathon-Training genutzt habe? Warum ich mit der Psychologin herumgewitzelt habe? Warum ich dem Arzt gesagt habe, er solle bitte mehr Sport und weniger Entspannung in meinen Plan einbauen? Weil ich es konnte! Und dafür bin ich sehr dankbar.
Denn wenn die Kur neben dem tollen Training eines gebracht hat, dann die Erkenntnis, dass ich ein tolles Leben habe und dass sich viele vermeintliche Probleme erledigen, indem man sie ignoriert.. Das weiß man ja nicht immer. In der Kurklinik waren einige Mütter mit ihren Kindern, die diese Kur sehr nötig hatten und denen ich so eine Gelegenheit zur Entspannung und Reflexion viel häufiger gönnen würde. Und noch besser wäre eine Mutter-ohne-Kind-Kur.
3 Antworten auf „Wie ich eine Mutter-Kind-Kur als Marathon-Trainingslager nutzte“