Olympia nach Deutschland – wer braucht hier eigentlich wen?

Olympia 2024 in Paris ist vorbei. Die Spiele haben gezeigt, was Olympia in einer Stadt, einem Land bewegen kann und welche Kräfte freigesetzt werden können. Logische Folgerung: Olympia muss nach Deutschland. Deutschland braucht Olympia! Aber: Braucht Olympia auch Deutschland?

Na, auch Olympia-Kater? Mann, was für eine Sause waren diese zwei Wochen Olympia in Paris! Mir hat ein Tag vor Ort genügt, um vom olympischen Geist beseelt zu sein. Kein Wunder, dass der Ruf, Olympia müsse nach Deutschland, wieder lauter wird. Er ist nicht neu. Hamburg, das Ruhrgebiet, Berlin, München – alle wollten schon, alle scheiterten, zum Teil am Willen oder Unwillen der Bevölkerung.

Das spricht gegen Olympia in Deutschland

Gründe, gegen Olympia zu sein, gibt es genügend. Allen voran das IOC, dieser korrupte Laden. Noch schlimmer als Fifa und Uefa zusammen, nimmt das IOC Einfluss auf die Politik der Gastgeberländer und übt zum Teil unappetitlichen Druck aus, etwa jüngst bei der Vergabe der Winterspiele an Salt Lake City, die laut Medienberichten unter dem Vorbehalt steht, dass sich die USA und ihre nationale Anti-Doping-Agentur nicht in die Arbeitsverweigerung der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA einmischen. Hat da jemand „Erpressung“ gesagt?

Thomas Bach und die Nähe zu Wladimir Putin

Hinzu kommt die laut Medienberichten unappetitliche Nähe des IOC und insbesondere seines Präsidenten Thomas Bach zu Diktatoren und Despoten, allen voran Kriegstreiber Wladimir Putin.

Gegenüber solchen Widerlichkeiten verblassen Argumente wie die fehlende Nachhaltigkeit von Sportstätten oder ausufernder Kommerz und ausbeuterisches Finanzgebaren des IOC. Fakt ist jedenfalls: Auf den ersten Blick spricht unheimlich viel gegen Olympia. Deutschland würde sich zum Büttel einer erpresserischen Organisation machen und würde am Ende auch noch die Zeche zahlen.

Das spricht für Olympia in Deutschland

Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Gründe, Olympia nach Deutschland zu holen. Zum Beispiel kann es nicht sein, dass „wir“, also die demokratische Welt, solcherlei Veranstaltungen den Despoten dieser Welt überlassen und ihnen die Spiele als Bühne schenken. Das ist moralisch verwerflich und im Übrigen ist es auch für die Sportlerinnen und Sportler und die Fans einfach Mist, sich bei Spielen in Diktaturen nicht unbeschwert auf den Sport konzentrieren zu können.

Olympia-Party am Hôtel de Ville in Paris.

Wie unbeschwert Olympia sein kann, wenn die Spiele in einer offenen, demokratischen Gesellschaft stattfinden, haben die Spiele in Barcelona, Sydney oder London bereits gezeigt. Wie sich dieser Spirit entfalten kann, wenn auch noch eine erhöhte Erreichbarkeit hinzukommt, hat Paris nun eindrucksvoll bewiesen. Natürlich ist das jetzt total eurozentristisch, aber es macht nun mal einen riesigen Unterschied, ob Fans mit dem Auto oder Zug zum Austragungsort Olympischer Spiele strömen können oder ihren Jahresurlaub für eine Reise um die halbe Welt opfern müssen. Blicken wir den Fakten ins Auge: Das Gros der bei Olympia erfolgreichen Nationen liegt in Europa. Was läge also näher, die Spiele in dem Land auszutragen, für das man das Wort Mitteleuropa erfinden müsste, wenn es das nicht schon gäbe: Deutschland.

Darum braucht Deutschland Olympia

Unter den Top-10-Nationen des Medaillenspiegels von Paris 2024 haben China (2008), Japan (2020 bzw. 2021), Australien (2000), Frankreich (2024) und Großbritannien (2012) in den vergangenen Jahren Olympische Spiele ausgerichtet. Insbesondere Japan, Großbritannien und Frankreich lagen sportlich danieder, bevor sie sich im wahrsten Sinne fit für Olympia im eigenen Land gemacht haben. Sie haben in Infrastruktur investiert, die Talentsichtung verbessert und Sport intensiv gefördert. Das Ergebnis hallt noch nach.

Deutschland hingegen hat seine Sport-Infrastruktur in den vergangenen Jahren konsequent heruntergewirtschaftet. Die selbsternannte Sportstadt Dortmund hat keine Halle, in der die Handball-Frauen des BVB ihre Heimspiele in der Champions League austragen können. Die Tischtennis-Teams des BVB leiden ebenfalls unter Hallennot. Die größte Sporthalle Dortmunds ist die Westfalenhalle. Die zweitgrößte Halle (die Leichtathletik-Halle mal außen vor, da die eigentlich der Leichtathletik vorbehalten ist) ist die Halle Wellinghofen, eine größere Schulturnhalle. Das ist peinlich und leider nicht alles. Es gibt kein Leichtathletik-Stadion, das auch nur annähernd als Austragungsort für nationale Meisterschaften taugen würde.

Leichtathletik-Stadien wurden zu Fußball-Arenen

Dortmund ist damit nicht allein. In NRW verfügten bis vor einigen Jahren Düsseldorf, Gelsenkirchen und Köln über große Leichtathletik-Arenen. Duisburg hatte mit dem Wedau-Stadion eine Arena mit der perfekten Größe für Deutsche Meisterschaften. Alle weg, so wie auch die Bahnen in Bremen, Hamburg, Hannover und Frankfurt.

In ganz Deutschland haben nur Berlin und München Stadien, in denen ad hoc internationale Meisterschaften ausgetragen werden könnten. 1993 fanden die Leichtathletik-Europameisterschaften noch im Stuttgarter Neckarstadion statt – auch das ist weg.

Um es kurz zu machen: Deutschland hat im Vorfeld der Fußball-WM 2006 und im Überschwang danach seine großen Stadien mit Laufbahn in reine Fußballstadien umgebaut. Und dieses Land hätte jetzt gerne Olympische Spiele.

Da stellt sich sofort die Frage, welche Stadt sich denn ein riesiges Leichtathletik-Stadion ans Bein binden soll, das nach Olympia nicht mehr gebraucht wird. So sehr ich mich über Olympia im Ruhrgebiet freuen würde, fallen mir weder ein Standort noch zukünftige Nutzungen für ein 70.000 Zuschauer fassendes Leichtathletik-Stadion ein, zumal selbst ein Mehrzweckstadion wie das Stade de France in NRW angesichts der Fülle an bundesligatauglichen Stadien einfach nicht gebraucht wird.

Olympiastadion in Wattenscheid?

Aber gehen wir hier mal davon aus, dass wir in Wattenscheid aus der Lorheide ein riesiges, auf 30.000 Zuschauer rückbaubares Stadion machen und somit ein wundervolles, nachhaltiges Olympiastadion im Revier haben könnten. Alle anderen benötigten Sportstätten sind bereits vorhanden.

Rund zehn Jahre hätte das Ruhrgebiet Zeit, die Sportinfrastruktur auf Vordermann zu bringen. Das ist machbar, wenn der politische Wille vorhanden ist. Schwieriger wird es, Deutschland sportlich olympiatauglich zu machen. Wir bräuchten eine gemeinsame Anstrengung, um Sport fest in der Gesellschaft zu verankern. Sport muss verpflichtendes Angebot an Schulen werden. Vereine müssen personell so ausgestattet werden, dass sie in den Schulen Angebote machen können. Die Wirtschaft muss darauf eingeschworen werden, Teams zu bilden, lokalen, regionalen und bundesweiten Nicht-Fußball zu fördern. Gewinnt ein Sportler bei Olympia eine Goldmedaille, bekommt er (oder sie) 20.000 Euro (Brutto) als Prämie. Für eine weitere Goldmedaille gibt es: nichts. Sorry, Sport-Deutschland, das ist lächerlich.

Strukturen für echte Profs schaffen

Wir brauchen starke Trainingsgruppen, in denen deutsche Sportlerinnen und Sportler unterschiedlichster Disziplinen miteinander arbeiten. Was die Niederlande geballt in Papendal machen, kann Deutschland mit seiner föderalen Struktur vier bis 16 Mal machen. Jedes College in den USA leistet bessere Arbeit als es sich deutsche Olympiastützpunkte dank Sparzwang leisten können. Doch die Athleten müssen sich auf ihren Sport konzentrieren und langfristig an sich arbeiten können. Der negative Druck der jährlich zu erfüllenden Kadernormen muss raus, der positive Druck, ein Ziel erreichen zu wollen, muss rein. Wir brauchen ein Fördersystem, kein Belohnungssystem. Ja, das wird teuer, aber Investitionen in Breiten- und Spitzensport werden sich schnell auszahlen.

Wenn wir das Jahr 2040 für Olympia im Ruhrgebiet anpeilen, sind die zukünftigen Olympiasieger bereits geboren worden und gehen gerade in den Kindergarten. Das bedeutet, dass wir genau jetzt anfangen müssen, Kinder für Sport zu begeistern und ihnen beizubringen, dass es nicht unbedingt schlimm ist, wenn du auf der Ziellinie Sterne siehst und (fast) kotzen musst.

Da ich befürchte, dass wir all das niemals machen werden, wenn nicht ein Außerirdischer landet und uns zwingt, steht für mich fest: Deutschland braucht Olympia, um den Arsch Allerwertesten hochzukriegen und Großes zu leisten. Hilfreich wäre es übrigens auch, wenn die ganzen Miesmacher und Laberköppe auf Social Media und anderswo mal nach vorne denken und eine positive Vision entwickeln würden, statt nach Applaus für pseudo-geistreiche Witze zu heischen. Und populistische Diskussionen über angeblich abgeschaffte Siegerurkunden können wir uns auch sparen.

Darum braucht Olympia Deutschland

Diktatoren machen es einer Bande wie dem IOC leicht. Sie müssen niemanden fragen und können sich im Glanz der Spiele sonnen. Was sie nicht können, ist Glamour. London hatte Glamour, Paris IST Glamour, Los Angeles wird Glamour haben. Das Ruhrgebiet hat… Currywurst. Das ist nicht schlimm. Wir haben Charme. Was Olympia in Demokratien bekommt, kann keine Diktatur der Welt verordnen: echte, offene Gastfreundschaft und ungezwungene Selbstverständlichkeit. Und wie oben gesagt: Geographisch und auch in Sachen Sportbegeisterung und -sachverstand gibt es kein besseres Land für Olympia als Deutschland und keine bessere Region als das Ruhrgebiet.

Im Herzen Europas mit Straßen- und Bahnverbindungen nach ganz Europa ist Deutschland quasi die Spinne im Verkehrsnetz (das natürlich olympia- und alltagstauglich ertüchtigt werden muss). Olympia im Ruhrgebiet wäre Olympia in Europa, wie es europäischer nicht sein könnte – und das Meer für Segler ist auch nicht weit weg.

Wenn Deutschland seine Bräsigkeit überwindet, seine Stärken ausspielt, mit Herzlichkeit und Offenheit auftrumpft, führt für Olympia kein Weg an diesem Land im Herzen Europas vorbei.

 

Eine Antwort auf „Olympia nach Deutschland – wer braucht hier eigentlich wen?“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.