Tempo, Eile, Ehrgeiz. Wer genau das nicht sucht, ist auf meiner Lieblingsinsel richtig. Denn mit allem, was mit Hast und Schnelllebigkeit zu tun hat, bildet Baltrum ein perfektes Gegensatz-Pärchen. Außer dienstags, denn dann ist Baltrum-Lauf.
Der Sommer 2018 ist ein Kandidat für die Geschichtsbücher. Noch nie hatten wir auf Baltrum so perfektes Wetter. Bewölkter Himmel nur in Ausnahmen, ein Sonnenuntergang spektakulärer als der andere, kaum vorhandener bis höchstens mäßiger Wind, dazu Temperaturen um die 30 Grad. Perfekt zum Abhängen.
Der Baltrum-Lauf
Aber ich bin ja Läufer. Für Menschen wie mich hat der umtriebige Baltrumer-Fitness-Guru Tobias Poley den Baltrum-Lauf erfunden. Jeden Dienstag schafft es eine zweistellige Anzahl durchgechillter Läufer, sich um kurz nach 16 Uhr vom Strand zum Rathaus zu begeben, um mehr oder weniger pünktlich um 16.30 Uhr die 5,3 Kilometer lange Strecke des Laufs in Angriff zu nehmen.
5,3 Kilometer, Urlaub – klingt gemütlich, ist es aber nicht. Denn die Strecke hat es in sich. Zwei Kilometer geht es leicht bergab auf gepflastertem Boden Richtung Dünen, bevor die Strecke dann einem Reitweg mit tiefem Sand folgt. Etwa einen Kilometer später führt sie über Gras von witterungsabhängiger Beschaffenheit und teilweise Sand. Erst auf den letzten rund 1000 Metern haben die Läufer wieder richtig festen, gepflasterten Boden unter den Füßen. Das geht ganz schön an wie Waden.
Die psychologische Herausforderung
Noch größer als die körperliche Herausforderung ist jedoch die mentale. Baltrum ist die Abwesenheit von Eile und Zeit. Baltrum ist Gehen im Schlendertempo, chillen bei Bier oder Aperol Spritz an der Sonnenuntergangsbude und Sanddorn-Straciatella-Eis um 22 Uhr. Ich trage auf der Insel meistens nicht mal eine Uhr, sondern relaxe gemütlich in den Tag hinein. Und dann soll man sich am Nachmittag aufraffen, um an einem Wettkampf teilzunehmen. Noch dazu bei den Temperaturen des Sommers 2018. Da bade ich doch lieber in der Nordsee und kühle mich ab.
Entsprechend fehlmotiviert habe ich den ersten meiner zwei Baltrum-Läufe 2018 absolviert. Zu schnell losgerannt und dann in den Dünen der Hitze ordentlich Tribut gezollt. Am Ende kam ich völlig erschöpft im Ziel an, drückte die Uhr ab und war über die vermeintlich miserable Zeit sehr enttäuscht – bis ich zu Hause sah, dass ich bloß zwei Sekunden über meiner bisherigen Bestzeit lag! Der Entschluss für den nächsten Dienstag war schnell gefasst: Mission Baltrum-Lauf-Bestzeit.
Training mit Martin und seiner Holden
Beim ersten Baltrum-Lauf war auch Facebook- und Lauf-Bekanntschaft Martin Sauer mit von der Partie. Er teilt mit mir die Leidenschaften fürs Laufen, Essen und Baltrum. In diesem Jahr haben sich unsere Urlaube endlich mal überschnitten, sodass wir in Begleitung von Martins Holder die Gelegenheit zum langen Trainingslauf nutzen konnten. Wie der war und warum ich trotz (oder wegen?) Bremsen schneller laufen konnte, ist hier nachzulesen.
21,1 Kilometer haben wir Drei geschafft, was auf Baltrum schon einer kleinen Herausforderung gleicht. Die Insel ist nicht unbedingt das Paradies für asphaltliebende Kilometerfresser.
Zweimal rum ist quasi Pflicht, und wer nicht noch eine dritte Runde laufen möchte, muss noch ein wenig bis ein ein bisschen viel Zickzack durch die Dünen laufen. Wege dazu gibt es genügend, doch wer auf Baltrum 25 Kilometer läuft (was ich dann am Sonntag nach dem donnerstäglichen Sauer-Lauf tat), kann wohl mit Fug und Recht behaupten, jeden legal erreichbaren Weg auf der Insel mindestens einmal unter den Füßen gehabt zu haben.
Die Hitzeschlacht: Balle is‘ nur einmal im Jahr!
Wenige Tage und viel Sanddorn-Straciatella später war Baltrum-Lauf Nummer Zwei an der Reihe. Der heißeste Tag des Jahres, die heißeste Stunde des Tages. Aber scheiß drauf – Balle is‘ nur einmal im Jahr!
Also hoch die Tassen und rein in den Kopp! Ach nee! Über den Kopp! Ich kam mit einer bis zum Rand vollen 1,5-Liter-Flasche Wasser zum Rathaus.
Einen kleinen Teil davon kippte ich tatsächlich in mich hinein, der Großteil des Inhalts landete allerdings noch vor dem Start auf meinem Kopf und auf meinen Klamotten. Laufen mit eingebauter Wasserkühlung sozusagen.
Sie hielt zwei Kilometer lang. Danach war das Hemd für kurze Zeit trocken, ehe der Schweiß es wieder durchnässte. Ich kämpfte mich durch den Sand und die Dünen, erreichte wieder den Ort und lief so schnell wie möglich Richtung Ziel. Für meine Uhr hatte ich gar kein Auge, war zu sehr damit beschäftigt, auf meinen Körper zu achten.
Erst beim Überqueren der Ziellinie hatte ich Zeit, auf die Uhr zu schauen – und siehe da: 25:50 Minuten, also 25 Sekunden unter meiner bisherigen Baltrum-Lauf-Bestzeit! Und das bei diesen Bedingungen – da hatten sich die langen Trainingsläufe wohl gelohnt.
Morning Run mit dem Bürgermeister
Der Vorteil einer so klitzekleinen Urlaubsinsel ist, dass man relativ schnell relativ viele Menschen kennenlernt. Insbesondere dann, wenn man schon ewig mit der Insel verwurzelt ist. Da trifft es sich, dass der Bürgermeister des Lieblings-Eilands ebenfalls gerne und viel läuft. Allerdings schnürt er schon um 5.30 Uhr am Morgen seine Schuhe. Lange habe ich überlegt, ob ich’s wagen soll, mir im Urlaub den Wecker zu stellen… Aber wann hat man schon die Gelegenheit, mit einem echten Bürgermeister, dem König von Lummerland quasi, laufen zu gehen!?
Für einen Donnerstagmorgen hatten wir uns verabredet. Also entzog ich mich am Mittwoch konsequent allen alkoholischen Verlockungen des Insellebens und stellte meinen Wecker auf 5 Uhr.
Völlig bekloppt, zumal seine Majestät auch noch im für Baltrumer Verhältnisse weit, weit entfernten Ostdorf wohnt. Ich quälte mich aus dem Bett und lief die knapp 1500 Meter bis zur bürgermeisterlichen Hausnummer.
Es war perfekt! Die Luft war noch angenehm klar, auch wenn sich bereits andeutete, dass es wieder ein heißer Tag werden würde. Als wir aus den Dünen heraus an den Strand liefen, sahen wir die Sonne als kleine, rote Scheibe über Langeoog aufgehen. Ein herrlicher Anblick! Knapp 15 Kilometer sammelten wir. Mein läuferisches Tagwerk war getan – und frische Brötchen konnte ich auch noch holen.
Letzter Urlaubstag – der Himmel weint
Habe ich schon erwähnt, dass es heiß war? Und windstill? Und überhaupt? Aber ausgerechnet am letzten Urlaubstag beschenkte uns der Himmel doch noch mit echtem Nordseewetter. Dummerweise tat er das, als ich gerade laufend Richtung Ostende der Insel unterwegs war. Es begann zu grummeln, der Himmel wurde dunkler, vor mir sah ich, wie einige Wolken über dem Watt bereits ihre Ladung abließen.
Netterweise traf ich nach etwa fünf Kilometern eine nette Läuferin, die mich fortan an der Backe hatte, denn zu zweit läuft es sich doch immer noch besser als alleine. Vor allem dann, wenn es auch noch zu regnen beginnt. Wir liefen und plauderten über unsere Baltrum-Erfahrungen und konnten sogar ein Reh beobachten, das durch die Dünen hüpfte. Der Regen hörte bald wieder auf, wir liefen noch ein Stückchen. Doch leider wollte meine unbekannte Begleiterin keine zwei Runden um die Insel drehen, also zog ich alleine weiter und machte die 20 km voll.
Als Laufinsel klitzeklein, aber abwechslungsreich
Sieben Läufe habe ich in 14 Tagen auf Deutschlands kleinster Insel absolviert. Langweilig? Aber nicht doch! Denn schließlich ist die Insel zwar klein, aber doch bei jedem Lauf anders. Je nach Tidenstand kann man auf harten Sandbänken laufen oder muss sich durch weichen Sand quälen. Mal weht der Wind von Osten, mal von Westen, mal stark, mal schwach, manchmal sogar gar nicht.
Ich bin schon bei fettem Gegenwind am Strand entlang gelaufen und habe mir dabei ein Bein-Peeling verpassen lassen und so manches Sandkorn in den Mund bekommen. Natürlich auch bei strömendem Regen und einem Sturm, der die regennassen Beine gleich wieder trocken gepustet hat. Ebenso bin ich bei Hitze und Windstille beim Baltrum-Lauf gestartet. Mit den zwei Aussichtsdünen lassen sich sogar zwei knackige Anstiege in die Läufe einbauen.
Nur eines kann ich auf dieser Insel der Total-Entschleunigung überhaupt nicht: Intervall-Training. Der zwanghafte Blick auf die Uhr, das Tempobolzen – das passt einfach nicht zu Baltrum. Und das ist auch gut so.
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