Gesperrte Stabhochsprunganlage in der Helmut-Körnig-Halle.Eigentlich wollte ich meinen arbeitsfreien Tag nur nutzen, um hemmungslos zu ballern. Intervalle in der Halle. Auf der gleichen Bahn laufen, auf der eine Woche zuvor Profis wie Christina Hering, Gesa Krause oder Konstanze Klosterhalfen ihre Spikeabdrücke hinterlassen hatten — meine Hoffnung: Da musste doch etwas auf mich abfärben. Das Training war toll. Und nebenbei könnte ich noch interessante Studien betreiben.
Mit mir zusammen betrat ein Senior Mitte 70 die Helmut-Körnig-Halle. Die Halle gehörte zunächst uns und ein paar Arbeitern, die Reparaturen vornahmen und Spuren der Deutschen Meisterschaften beseitigten. Meine Tasche stellte ich auf dem Boden vor der Stabhochsprunganlage ab, die noch von den DM übriggeblieben war. Zwei Schilder auf der Matte gaben deutlich zu verstehen, dass die Anlage nur von Leistungssportlern genutzt und auch nicht als Ablage für Menschen, Taschen oder Jacken zweckentfremdet werden solle.
Senioren schlichen um die Profi-Anlage
Was ein Leistungssportler ist, liegt offenbar im Auge des Betrachters. Ich fühlte mich jedenfalls durch das Schild nicht ermuntert, die Matte für irgendwelche Übungen zu nutzen.
Ich begann mich einzulaufen. Unterdessen trudelten weitere Senioren ein, die sich sehr gewissenhaft warm machten und anschließend um die Stabhochsprunganlage schlichen, wie ein Löwenrudel um ein verletztes Gnu.
Später kamen noch einige Schulklassen. Die Bahn, auf der ich meine Intervalle drehen wollte, würde also voll werden. „Egal, so wird es wenigstens nicht langweilig“, dachte ich.
Der Jugend beim Sport zugesehen
Wurde es auch nicht, denn die Schülerinnen und Schüler waren hervorragende Studienobjekte, um zu sehen, wie sportlich die Jugend so ist.
Um es kurz zu sagen: Oha!
Die längere Fassung ist differenzierter. Während ich meinen ersten 5-Minuten-Intervall (Pace 4:30 min/km) lief, begann die Meute mit ihren Warmlaufrunden auf der Bahn. Jetzt herrschte also jede Menge Betrieb, natürlich vornehmlich auf Bahn 1. Glücklicherweise empfahl alsbald der Lehrer, die Langsamen sollten die Innenbahn freigeben. Nett gemeint.
In der Praxis allerdings waren die langsamen Schülerinnen und Schüler so viele, dass sie zwangsläufig auch auf Bahn 1 laufen (spazieren, schlendern, gehen, stehen) mussten. Doch einige Jungs legten ein angenehmes Tempo vor, sodass es mir Spaß machte, mit ein paar Pacemakern auf der Bahn zu laufen.
Während meiner nächsten Intervalle ging die Schulklasse zu Sprintübungen über, ich zog meine Kreise.
Senioren übten Stabhochsprung
Die Generation Ü 70 übte sich im Stabhochsprung an der Leistungssportler-Matte. Kennt ihr diesen Habitus alter Menschen, die sich so verhalten, als gehöre der Ort, an dem sie sich gerade aufhalten, schon seit jeher ihnen?
Das ist auf der Tartanbahn nicht anders als im Schwimmbad. Regeln gelten gerne nur für andere (jüngere) Sportler, die Generation Ü 70 hingegen genehmigt sich Narrenfreiheit. Es ist ja beeindruckend, wenn Menschen in dem Alter noch so sportlich sind. Sonderrechte erwachsen einem daraus aber nicht.
Die Jungs und Mädels beim Sprinten im Sportunterricht zu beobachten war eine wahre Tragikomödie. So richtig konnte es keiner, viele präsentierten sich als echte Bewegungslegastheniker, während andere zumindest schnell rennen konnten. Mehr Spaß machte allerdings das Beobachten der schlechteren. Angesichts meiner Vorgeschichte mit Sprint und Muskelfaserriss auf exakt der Bahn, auf der die Jugendlichen nun rannten, spürte ich sofort ein Ziehen im hinteren Oberschenkel und hoffte, dass es heute niemanden erwischen würde.
Die Bandbreite der Laufstile
Einige Mädels liefen im Straßenoutfit, besonders beeindruckend war eine Kandidatin, die eine Art breiten Schal oder schmalen Umhang über ihren Klamotten trug und damit beim Laufen wie eine sehr elegant gekleidete Variante von Batman aussah.
Mit Sport hatte das jedenfalls bei vielen Schülern wenig zu tun, geschweige denn mit ordentlich ausgeführten Sprints. Die Bandbreite der Laufstile reichte von brutal-brachial bis tippelnd-elegant. Arme prügelten die Luft oder hingen unmotiviert herab.
Bei den meisten wird der Effekt der Stunde gewesen sein, dass sie gelernt haben, dass sie nicht sprinten können. Wie es geht, wurde ihnen nicht wirklich gezeigt. Sie machten Wettrennen, wobei jedes Mal schon vor dem Start festzustehen schien, wer gewinnen würde.
Ich fühlte mich in meine Schulzeit zurückversetzt, in der ich gelernt hatte, dass ich nicht laufen kann. Mehr als 30 Jahre hat es gedauert, bis ich begriffen habe, dass nicht ich schlecht war, sondern der Unterricht.
Niederlagen erzeugen Couch-Potatoes
Sicherlich ist es wichtig, Jugendliche überhaupt in Bewegung zu bringen. Aber wenn der Sportunterricht mit Niederlagen gespickt ist, züchtet man Couch-Potatoes. Klar, der Sportlehrer ist die ärmste Sau. Er muss einen Lehrplan erfüllen und 30 höchst unterschiedlich talentierte und motivierte Schüler unter einen Hut bringen. Mit Unterricht hat das sehr wenig, mit Darwin hingegen sehr viel zu tun. Wenn wir wollen, dass Jugendliche gesünder leben, müssen wir genau hier ansetzen.
Mein Intervall-Training setzte ich fort, während ich die Klasse beobachtete. Nach den ersten 5×5 Minuten machte ich kurz Pinkelpause und ließ weitere 5×5 folgen. Eine harte, wahnsinnig motivierende Einheit. Und vielleicht treffe ich die sportlichen Senioren und unsportlichen Junioren ja irgendwann wieder in der Halle.