Ich bin ja immer skeptisch, wenn Bücher als Pflichtlektüre angepriesen werden. Entsprechend lang hat es gedauert, bis ich dann doch „Born to Run“ gekauft und sofort verschlungen habe. Eher zufällig bin ich neulich über Ronald Rengs „Warum wir laufen“ gestolpert. Mein Urteil: Pflichtlektüre!
Um mich bei den vorm Antelope Canyon Ultra wohl oder übel anstehenden langen Trainingsläufen mental bei Laune zu halten, stöberte ich in der Mediathek von Apple Music und fand da unter anderem „Warum wir laufen“ von Ronald Reng. Zunächst hörte ich aber „Das Mädchen“ von Stephen King bei meinen langen Läufen. Den Reng hob ich mir für später auf.
„Born to Run“ bei langen Läufen gehört
In der Vorbereitung auf den Köln-Marathon hatte ich sehr gute Erfahrungen damit gemacht, bei den langen Sonntagsläufen die Hörbuchfassung von Christopher McDougalls „Born to Run“ zu hören. Das Buch hatte ich dann doch irgendwann gelesen und war danach ein anderer Läufer.
McDougall schafft es ja wirklich, ein Feuer im Leser zu entfachen. Allerdings verspürte ich nie den Drang, meine Schuhe auszuziehen und fortan barfuß zu laufen. Aber dennoch habe ich viele Lehren aus „Born to Run“ fest verinnerlicht und in mein läuferisches Mindset eingebaut.
Die Hörfassung des Buches ist leider gekürzt. Dafür kommt sie schneller auf den Punkt, was beim Laufen nicht verkehrt ist. „Born to Run“ hat mich nicht nur beim Laufen motiviert, es hat mich auch ZUM Laufen motiviert, wenn draußen der Himmel grau war. Aber das Buch hat auch eine Schwäche: Es ist mir zu missionarisch oder zu dogmatisch, zu absolut in der Präsentation seiner Botschaft.
„Warum wir laufen“ ist das bessere „Born to Run“
Genau das macht „Warum wir laufen“ von Ronald Reng nicht. Es ist sehr nah am Alltag und an der Gedanken- und Gefühlswelt von normalen Hobby-Läufern. Es ist ein bisschen selbstironisch und genau darum ist Rengs Buch in meinen Augen das bessere Laufbuch, sozusagen das bessere „Born to Run“.
Reng schreibt in erster Linie über sich und begibt sich dabei auf einen abwechslungsreichen Streifzug durch alle Themen, die uns Läufer bewegen: Trainingslehre, Dogmen, Ernährung, Psychologie, Verletzungen – und noch mehr. Der Autor, in der Jugend erfolgreicher Leichtathlet, nimmt uns mit auf die Strecke, als er nach Jahrzehnten der Untätigkeit wieder die Laufschuhe schnürt.
Dabei sinniert er über sich, die Welt, das Training, seinen inneren Antrieb und gewährt spannende Einblicke in die Historie des Laufsports. Wo McDougall in „Born to Run“ nach Mexiko, Südafrika und Colorado reist, führt und Reng ins wenig glamuröse Waldniel, ein Kaff im Kreis Viersen, das Laufgeschichte geschrieben und eine Revolution in der Leichtathletik herbeigeführt hat. Während alle Welt die Amerikanerin Kathrine Switzer für ihre Leistungen für den Feminismus im Allgemeinen und den Frauensport im Besonderen feiert, würdigt Reng die nicht minder bedeutsamen Errungenschaften einer gewissen Maria Inderfurth und ihres Trainer, Mentors und Antreibers Dr. Ernst van Aaken.
Wie ein deutscher Arzt den Sport und die Medizin revolutionierte
Der Arzt Ernst van Aaken kam nach dem Zweiten Weltkrieg ins niederrheinische Dorf Waldniel und entdeckte dort das läuferische Talent der Maria Inderfurth. Damals durften Frauen offiziell nicht einmal 800 Meter laufen. Inderfurth sollte Marathon laufen, van Aaken kämpfte dafür und revolutionierte die Leichtathletik.
Reng erzählt sehr spannend, wie van Aaken seine innovativen Trainingsmethoden durchsetzte, dabei Waldniel zum Mekka des deutschen Langstreckenlaufs machte, eher unfreiwillig zum glühenden Feministen wurde und medizinische Grundsätze formulierte, die noch heute befolgt werden.
„Warum wir laufen“ ist ein sehr persönlicher, aber immer faktenorientier und fundierter Rundumschlag. Wir begegnen Sportmedizinern, Ernährungswissenschaftlern, Trainern und Prominenten.
Einblicke ins Seelenleben von Theresa Enke
Beeindruckend ist die Passage über Theresa Enke, die durch das Laufen psychische Probleme zu überwinden versuchte und dabei magersüchtig wurde. Dabei hilft es Reng, dass er eng mit Enke befreundet ist, die ihm und somit auch uns Lesern sehr tiefe Einblicke in ihr Seelenleben gewährt. Reng ist Verfasser einer preisgekrönten Biographie über Robert Enke.
Von Fußball-Nationspieler Thomas Hitzlsperger erfahren wir, dass er sich als Profi heimlich zum Athletik- und Lauf-Training schleichen musste. Hitzlsperger hatte lange vor seinen Cheftrainern erkannt, dass der Schlüssel zu einem guten Spiel in der Fitness und Ausdauer liegt.
„Warum wir laufen“ ist eine Pflichtlektüre
„Warum wir laufen“ hat mich beim Laufen gefesselt und mir sogar den einen oder anderen Extra-Kilometer beschert, weil ich einfach hören wollte, wie es weitergeht.
Es ist ganz nah am Alltag von Millionen Hobby-Läufern. Reng kennt die Lügen, die wir uns ständig auftischen, kennt unsere Spleens und unser Gefühlsleben. Eine absolute Pflichtlektüre!
Ronald Reng, „Warum wir laufen“, Piper, 2018, ISBN: 9783492058483
2 Antworten auf „Besser als „Born to Run“: „Warum wir laufen“ von Ronald Reng“