Laufen kann anstrengend sein. Vor allem die ersten zwei, drei Kilometer, wenn der Körper erstmal reinkommen muss. Was läge da näher als mit einem kleinen Sprühstoß Asthma-Spray nachzuhelfen? Es funktioniert ja auch: Die Lunge weitet sich, Luft strömt, alles wird besser. Manchmal ertappe ich mich aber dabei, dass der Kopf das Zeug mehr braucht als die Lunge. Ist das schon Doping?
Oder ist es gar so eine Art Sucht? Ich habe ja keine Ahnung, wie sich Lungenschmacht anfühlt. Aber ich weiß, was Asthma ist und wie es sich anfühlt. Es wird so ein bisschen eng oben rum, die Luft fließt nicht so, wie sie sollte. Es ist wie aus der Puste sein, nur ohne Endorphine. Und ich glaube, wenn ich ganz, ganz ehrlich bin, ist es sehr, sehr oft der Kopf, der sich nach dem Sprühstoß sehnt.
Studie untersucht Missbrauch von Asthma-Spray bei Sportlern
Möglicherweise geht es nicht nur mir so. Eine neue Studie untersucht Medikamentenmissbrauch im Sport und legt den Schwerpunkt auf das so weit verbreitete Asthma-Spray.
Bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang machten die Norweger auf sich aufmerksam, als sie für ihre 121 Athleten stolze 6000 Dosen Asthma-Spray nach Südkorea brachten. Norwegen gewann viele Medaillen. Aber hätten sie das nicht auch ohne Spray? Oder ist Asthma bei Sportlern wirklich so weit verbreitet?
Belastungsasthma – gibt es das überhaupt?
Es gibt ja mehrere Erklärungsansätze dafür, dass es unter Ausdauersportlern überdurchschnittlich viele Asthmatiker gibt. Ein Stichwort lautet: „Belastungsasthma“. Es soll uns sagen, dass sich Otto und Erna Normalmensch gar nicht in Sphären bewegen, in denen sie je mit dem Thema Atemnot konfrontiert werden.
Offenbar gibt es dieses Belastungsasthma wirklich – vor allem bei Kindern und Sportlern und erst recht bei Kälte. Das erklärt einiges. Das erklärt zum Beispiel, warum ich ab und zu beim Kicken als Kind komplett im Arsch war und dieser Zustand mit „aus der Puste“ nur unzureichend beschrieben ist. Es erklärt auch, warum es mir bei Kälte schneller in den Bronchien brennt. Es erklärt aber nicht, warum es mir nicht immer so ging.
Mit allergisch bedingtem Asthma laufen
Irgendwann wurde bei mir dann allergisch bedingtes Asthma festgestellt. Das war früher mal ganz schlimm, heute kaum noch. Es hat mich nie davon abgehalten, Sport zu treiben. Ich hatte und habe ja mein Spray. Wenn ab Februar Hasel- und Birkenpollen fliegen, steigt mein Verbrauch.
Aber was ist außerhalb der Saison? Ohne mein Spray gehe ich nicht laufen. Es ist wie mit einem Regenschirm: Hat man ihn mit, scheint die Sonne. Aber wehe, er liegt zu Hause. Nur dass Regen nicht psychosomatisch ist. Asthma schon? Wenn ich nach einem Kilometer feststelle, dass da ein bestimmtes Druckgefühl fehlt, wo sonst das Spray-Fläschchen drückt, spüre ich sofort meine Bronchien und Panik bricht sich ihre Bahn. Das ist nicht Asthma bronchiale, sondern Asthma mentale – erzähl mir doch nix!
Ist das schon Asthma, oder bin ich nur kaputt?
Es gibt einfach Automatismen. Vor dem Lauf noch ein Sprühstoß – man weiß ja nie. „War das jetzt nötig?“, frage ich mich dann oft. Denn so richtig gebraucht habe ich das nicht. Es fühlt sich eher so an, als sei da die Macht der Gewohnheit am Werk gewesen. Nach zwei, drei Kilometern noch einer. Komischerweise ist es dann aber auch getan. Danach reicht mir die Gewissheit, dass das Spray da ist. Bei diesem zweiten Sprühstoß denke ich oft, dass ich doch in Wirklichkeit nur etwas kaputt bin und der Körper sich schon noch auf die Belastung des Laufs einstellen wird.
Aber wird er das wirklich? Oder ist das doch eine Art Lungenschmacht, was ich da spüre? Oder weiß mein Unterbewusstsein nach einer rund 40 Jahre dauernden Asthma-Karriere besser, was ich wann brauche als mein Bewusstsein? Manchmal glaube ich, dass das Spray mehr zur mentalen Beruhigung beiträgt als zur körperlichen Ertüchtigung. Viele Fragen.
Ohne Asthma-Spray könnte ich gar nicht laufen
Eine Antwort habe ich aber zumindest auf die Doping-Frage. Ich glaube nicht, dass es Doping oder Medikamenten-Missbrauch ist, wenn ein Asthmatiker Asthma-Spray nimmt, um auf seine normale Leistungsfähigkeit zu kommen. Ich habe noch nicht bemerkt, dass ich mit Spray länger oder schneller laufen kann als ohne. Denn Fakt ist: Ohne könnte ich überhaupt nicht laufen. Das sagt mir mein Körpergefühl. Asthma kommt oft ganz, ganz schleichend mit nur ganz leisen Signalen.
Wenn du Asthmatiker bist, erkennst du sie und weißt, was los ist. Du merkst vielleicht schon, wie sich deine Leistung um ein klitzekleines Quäntchen verschlechtert. Du bist mit deinem Kopf mehr an deiner Lunge als bei der Uhr. Ein Sprühstoß hilft da natürlich. Aber er macht dich nicht schneller als du vorher warst, sondern wieder so schnell, wie du vorher warst.
Doping? Vielleicht ist der Übergang fließend
Ich glaube – zumindest aus meiner Erfahrung heraus gesprochen -, dass der Übergang zwischen „Ich WILL jetzt mein Spray haben“ und „Ich MUSS jetzt mein Spray haben“ fließend ist. Ganz bestimmt ist der Anteil an (Belastungs-)Asthmatikern unter Hochleistungssportlern höher als in der breiten Bevölkerung. Und wie gesagt, ist er das sicherlich, weil sich viele Menschen einfach gar nicht anstrengen.
Wer im Akutfall zum Spray greift, verschafft sich sicherlich keinen Vorteil. Aber, liebe Norweger: 6000 Einzeldosen für 121 Sportler. Selbst wenn wirklich jeder einzelne Athlet mit Belastungsasthma zu kämpfen haben sollte, sind das 50 Sprühstöße pro Athlet in einem Zeitraum von 14 Tagen. Kein Wunder, dass da auch Amateure, die vor oder beim Lauf schnell per Sprühstoß „dopen“ kritisch beäugt werden.
Aber, liebe Mitläufer, ich versichere euch: Asthma-Spray ist verschreibungspflichtig. Wenn ich das Zeug nicht brauchte, hätte ich es nicht. Und da spreche ich wohl für jeden Asthmatiker, der es einem kleinen Spray-Fläschchen zu verdanken hat, dass er überhaupt Marathon laufen kann.
2 Antworten auf „Asthma mentale: Ist das noch Medizin oder schon Doping?“