Nach dem Marathon am Stilfser Joch 2018 war für mich klar, dass ich nicht mehr weghören kann, wenn der Berg ruft. Dieses Mal rief der Langkofel im Grödnertal. Also wieder auf ins wunderschöne Südtirol zu einem Lauf, den jeder mal gemacht haben sollte.
„Es gibt Gulasch!“, rufe ich vor Freude. Südtiroler Gulasch mit Speckknödel! Genau dieses Gericht war vor rund anderthalb Jahren der Grund gewesen, weshalb ich mich für den Marathon am Stilfser Joch angemeldet hatte. Ich wollte endlich mal wieder leckeres Südtiroler Gulasch essen.
Damals klappte es allerdings aus verschiedenen Gründen nicht mit dem Gulasch und mir. Ich musste also noch mal ran. Südtirol ist ja immer eine Reise wert.
Es gibt schließlich Dutzende Gründe. Die Landschaft, das Essen, die Menschen, die Sprache(n) – und die Läufe.
2018 hatte ich mich ja gleich an einen echten Brocken herangewagt und das Stilfser Joch erfolgreich gemeistert. Kurz darauf las ich vom Saslong-Halbmarathon. Die Entscheidung fiel leicht. War die Landschaft am Stilfser Joch beeindruckend, so ist sie im Grödnertal atemberaubend schön. Mit den Bergen bin ich eh seit Kindertagen per „Du“. Also stand sehr früh fest, wohin die Reise im Jahr 2019 gehen würde: zur Langkofelumrundung.
Perfekte Organisation, perfekte Landschaft
Um es kurz zu machen: Es gibt rund um den Saslong-Halbmarathon herum absolut nix zu meckern. Und so richtig perfekt wurde die ganze Geschichte, als zwei Tage vor dem Start die Info per Mail kam, jeder Starter bekäme mit der Startnummer einen Gutschein. Für Gulasch! Ziel-Gulasch – und davor läppische 21 Kilometerchen und klitzekleine 900 Höhenmeterchen! Ein Traum.
Die Organisation klappt auch abseits der Kulinarik reibungslos, die Medaille ist wirklich super-schön, der Starterbeutel mit Waschmittel, einem südtiroler Apfel, einem leckeren Brausegetränk uuuuund: einer blauen Finisher-Schürze (blaue Schürzen sind sowas wie die südtiroler Nationaltracht) lässt keine Wünsche offen.
Ach ja, gelaufen wird auch noch. Und das auf einem durchaus anspruchsvollen Kurs, der dank der späten Schneeschmelze an einigen Stellen noch sehr matschig ist – insbesondere am steilsten Stück der Strecke, einer sehr seifigen Wiese.
Den Langkofel immer im Blick
Während des gesamten Laufs ist der Langkofel, der mit seinem schroffen Dolomit wie ein abgebrochener Zahn in den Himmel ragt, unser Begleiter. Rechts der Langkofel, links zunächst die mächtige Sella-Gruppe. Dazwischen, ganz klein, wir Läufer.
Oder Powerwalker? Denn wie bei Bergläufen üblich, wechseln die meisten irgendwann vom Laufen zum strammen Wandern über. Spätestens ab der besagten Matschwiese ist es aus mit der Lauferei.
Wandern, laufen, fotografieren
Die langsame Pace ermöglicht zahlreiche Fotopausen, viele meiner Kolleginnen und Kollegen machen davon Gebrauch. „Ich will einen Schneeengel machen“, ruft eine Läuferin. Ihr Begleiter zückt das Handy, sie lässt sich in den harten Schnee sinken.
Zum Schnee greife auch ich immer wieder, wenn die Strecke an einigen mehr als einen Meter hohen Schneewänden vorbeiführt. Ich nehme eine Handvoll und stecke den harten Schnee hinten in mein Shirt, wo er für willkommene Abkühlung sorgen kann.
Denn es gibt definitiv noch einen Grund, nach Südtirol zu reisen: das Wetter. Das meint es wieder sehr gut mit uns. Die Sonne knallt ganz ordentlich, aber es ist nicht ZU heiß.
Hilfe für krampfgeplagten Läufer
Das Schöne an so einem Läuferfeld im hinteren Bereich ist die Kollegialität, die sich irgendwann einstellt. Beim strammen Bergaufwandern reicht die Luft oft noch für ein kleines Schwätzchen, wir reichen uns gegenseitig unsere Kameras, um uns nicht ständig für Selfies verrenken zu müssen.
Sein oder nicht sein – der Alpen-Hamlet.
Und wenn jemand Schmerzen hat, dann hilft man. Gerade noch bin ich an einer Gruppe vorbeigelaufen, die einem im Geröll gestürzten, blutenden Läufer half (er hat es mit kleineren Blessuren ins Ziel geschafft), da sehe ich am Streckenrand, wie jemand versucht, seine Wade zu dehnen.
Just in dem Moment, spüre ich, wie sich meine linke Wade solidarisch mit dem Kollegen zeigen will. Aber er scheint es deutlich nötiger zu haben. Ich biete ihm mein Magnesiumtütchen an, das ich seit den Krämpfen beim Köln-Marathon immer dabei habe. Wir teilen uns das Magnesium, wobei ich nur ein kleines, symbolisches Häufchen nehme – quasi um dem Körper zu signalisieren, dass er etwas bekommt.
Dem Kollegen scheint es augenblicklich etwas besser zu gehen. Ich laufe weiter, treffe ihn an der nächsten Verpflegung, wo ihn seine beiden Kumpels in Empfang nehmen. Das Trio kommt aus Berlin und will zusammen laufen. Im Ziel berichten Sie mir beim Bier, dass die Krämpfe später wieder zurück kamen. Doch das Trio wollte zusammen ins Ziel, so warteten die beiden fitten Läufer auf ihren Kumpel. Nur wenige Minuten vor Zielschluss überquerten sie zu dritt die Ziellinie.
Beinahe den Zielschluss verbummelt
Apropos Zielschluss: Vier Stunden hatten uns die Organisatoren für die 21,0975 km gegeben. Kinderspiel! Auch dass die Strecke wegen einiger hartnäckiger Schneefelder geändert und um rund zwei km verlängert werden musste, sollte kein Problem sein. Am Stilfser Joch hatte ich für den Marathon 6:49 Stunden gebraucht, aber der ging ja 27 km fast nur bergauf.
Am Langkofel geht es irgendwann wieder runter – ist ja ein Rundkurs. Entsprechend unbekümmert gehe ich auf der Strecke zu Werke. Ein Foto hier, ein Video dort. Skeptisch werde ich, als mir meine Uhr eine 10-km-Zeit von 1:45 h prognostiziert. Das wäre eine coole Halbmarathon-Zeit, für 10 km ist das schon happig. „Aber bergab kann ich ja rennen“, denke ich.
Die Voraussage der Uhr bestätigt sich. Sie springt um auf Halbmarathon-Prognose und ich traue meinen Augen nicht: „3:47“ steht da! Ich fasse das als Tritt in den Hintern auf und beginne, selbigen zu bewegen. Aber dann bietet sich da wieder so ein herrliches Panorama – Foto machen.
Die Uhr bleibt hartnäckig, ich beginne mit Sport. Klar, zuvor bin ich immer gelaufen, wenn es irgendwie möglich war. Aber jetzt verschärfe ich den Wanderschritt und erhöhe auch das Lauftempo, immer wenn es der mitunter geröllige Boden erlaubt.
Ich drücke die Prognose auf 3:30 Stunden – schon besser. Es geht jetzt fast stetig bergab, entsprechend laufe ich. Pausen mache ich nur noch, um den von der ekligen Bergablauferei gebeutelten Knien und Oberschenkeln ein paar Sekunden (!) Erholung zu gönnen. Aber: Ich werde nicht mehr überholt, ich überhole selber. Ich sehe Läuferinnen und Läufer, die vor gefühlt etlichen Kilometern an mir vorbeigelaufen waren.
Die Halbmarathon-Anzeige der Uhr ignoriere ich, ich laufe.
Ich rieche schon das Gulasch
An einem Abzweig frage ich einen Streckenposten, wie weit es noch ist: „400 Meter“, sagt er. Das Ziel ist also direkt hinter dem kleinen Hügel vor mir! Ich rieche schon das Gulasch. Schneller werden! Vor mir blockieren zwei Läuferinnen plaudernd den schmalen Weg. Ich will überholen, kann aber nicht. Handy raus, filme ich halt ein bisschen.
Endlich wird die Strecke breiter. Ich überhole die Mädels, laufe über eine Brücke und sehe den Zielbogen. Der Weg ist schmal, kurvig und schön zu laufen. Ich bin ganz alleine, habe den Zieleinlauf für mich.
Ich überquere die Ziellinie, drücke die Uhr ab, laufe auf eines der Medaillen-Mädels zu. „Auguri“, sagt sie. „Danke“, sage ich. Und hole Gulasch.
Danke für den Bericht – er wurde mir empfohlen, als ich in Frauchens Timeline nach Erfahrungen mit diesem Lauf gefragt hatte. Liebäugele damit, Frauchen dort 2020 anzumelden. Jetzt, nach Lektüre, noch mehr 🙂 Alles Gute für Deine kommenden Läufe!
Iwan (bäriger Laufcoach für das Frauchen)