Vor der Leichtathletik-EM in Berlin hatte ich Fragebögen an einige Athleten verschickt, um ihrer Einstellung und ihrem Antrieb auf den Grund zu gehen. Da ich nun wieder in einer Marathon-Vorbereitung stecke, habe ich mir die Bögen noch einmal vorgeknöpft, um zu sehen, ob ich aus den Antworten etwas für meinen Laufalltag und den Köln-Marathon mitnehmen kann. Ich kann – und wie! Spitzensportler müssen wahnsinnig disziplinierte Menschen sein. Also im Grunde das Gegenteil von mir, denn ich kann Versuchungen allzu oft nur schwer bis gar nicht widerstehen. In meinem kleinen Fragebogen-Projekt vor Berlin 2018 hatte ich die Athletinnen und Athleten darum unter anderem gefragt, wie sie sich für besondere Leistungen belohnen.
Gutes Essen als Belohnung für besondere Leistungen
So unterschiedlich die einzelnen Sportler auch sein mögen, fast alle beantworteten diese Frage gleich: Sie belohnen sich mit gutem Essen. Da haben wir also tatsächlich etwas gemeinsam. Der kleine, aber entscheidende Unterschied: Ich belohne mich eindeutig öfter, leiste dabei aber deutlich weniger. Auch beim von mir abgefragten Essverhalten am All-you-can-eat-Büffet ähneln wir uns. Sportler sind offenbar echte Allesfresser. Doch auch hier liegt die Tücke im Detail: Ein Marathoni wie Philipp Pflieger hat nach einer Trainingswoche so viele Kilometer auf dem Tacho wie ich nach einem Monat – dazu mit deutlich höherer Intensität. Sprinterinnen wie Pamela Dutkiewicz, 800-Meter-Läufer wie Benedikt Huber oder eine Stabhochspringerin wie Katharina Bauer trainieren so dermaßen intensiv, dass sie ihre Kalorien schneller verbrennen als sie sie zu sich nehmen können.
Neid auf Spitzen-Athleten ist fehl am Platze
Macht mich das neidisch? Nur im ersten Moment. Eher imponiert es mir. Am Ende leben, essen und trainieren wir einfach in unterschiedlichen Welten. Da ist Neid völlig fehl am Platze, denn geschenkt bekommen die Profis sicherlich nichts. Und da komme ich zur eigentlichen Essenz, die ich aus den Fragebögen ziehen kann: Konsequenz und die Leidenschaft. Wie oft verschieben wir Freizeit-Athleten eine Trainingseinheit? Die Gründe können noch so vielfältig und nachvollziehbar sein, sei es zu viel Regen, Hitze, ein langer Arbeitstag, ein zu schweres Mittagessen oder schlicht und ergreifend Lustlosigkeit. Diesen Luxus können sich Vollzeit-Sportler schlicht nicht leisten. Und ich glaube, dass sie das auch gar nicht wollen – sonst wären sie nämlich keine Spitzen-Sportler.
Ich beneide Spitzen-Athleten um ihre Mentalität
Um diese Mentalität, einem Ziel alles unterordnen zu können und sich auch bei widrigsten Umständen zum Training motivieren zu können und sich konsequent dem Sport zu widmen, beineide ich sie wirklich. „Ich denke an das große Ziel“, sagt etwa Sprinterin Lisa Mayer. Langstrecklerin Anna Gehring wiederum denkt an ihre Trainingsgruppe und den Spaß, den sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen hat – auch eine schöne Art, sich zu motivieren.
Richtige Spitzen-Athleten können sich keine Motivationslöcher leisten. Und wenn sie doch in eines fallen, arbeiten sie hart daran, wieder herauszufinden und anzugreifen, auch mit Mentaltraining. Das imponiert mir. Noch mehr beeindrucken mich der eiserne Wille und der Optimismus, den diese Leute ausstrahlen, wenn sie mit Rückschlägen umgehen müssen.
Nach Rückschlägen sofort neue Ziele stecken
Philipp Pfleger musste zwar seinen EM-Marathon abbrechen, greift aber schon längst wieder die nächsten Ziele an. Hendrik Pfeiffer wurde bereits zum zweiten Mal von einer Verletzung übel ausgebremst und hat sofort das Ziel Tokio 2020 ins Auge gefasst. Lisa Mayer musste kurz vor den Europameisterschaften ihre Teilnahme verletzungsbedingt sausen lassen und Pamela Dutkiewicz musste im Frühjahr ebenfalls einige bange Momente überstehen, als ihr Oberschenkel zwickte.
Ganz besonders imposant war bei Berlin 2018 Gesa Krauses beherzter Lauf über die 3000 Meter Hindernis, nachdem sie bis dahin eine absolut verkorkste Saison erlebt hatte. Und nicht zuletzt finde ich einen Text, den Denise Krebs über ihren Sturz beim 5000-Meter-Rennen geschrieben hat. Den kann man eigentlich gar nicht oft genug lesen.
Und der Lerneffekt?
Ja, was kann ich als Hobby-Läufer von den Spitzen-Sportlern lernen? Eine Menge. Ihre Beharrlichkeit. Ihren Optimismus. Ihre Leidenschaft. Die Mentalität, an oder über die Schmerzgrenze hinaus zu gehen und nach einem Sturz aufzustehen und weiterzulaufen. Wichtig von Unwichtig unterscheiden zu können. Die Marathon-Vorbereitung gegen alle Widerstände durchzuziehen. Erfolge zu feiern und aus Niederlagen zu lernen, immer wieder. Das sind alles Dinge, die nicht nur im Sport helfen, sondern auch im Beruf und im Alltag.
Insofern muss ich den Sportlerinnen und Sportlern, die meinen Fragebogen ausgefüllt haben, noch dankbarer sein als ich es ohnehin war. Leute, ihr habt mich inspiriert. Danke!
3 Antworten auf „Was Hobby-Sportler von Spitzen-Athleten lernen können“