Der Psychologe, Extrem-Läufer und Autor Dr. Michele Ufer befasst sich in seinem neuen Buch „Limit Skills“ mit mentalen und körperlichen Grenzen. Dazu hat er mit zahlreichen Grenzgängern gesprochen und ihnen einige sehr inspierende Texte entlockt, die schon beim Lesen Aufbruchstimmung zu den eigenen Grenzen erzeugen.
Ja, ich war skeptisch und hatte im Grunde drei Vorbehalte.
- Erstens finde ich es schwierig, ein Buch unbefangen zu rezensieren, wenn ich den Autor persönlich kenne und schätze.
- Zweitens lautete mein erster Gedanke „Nicht schon wiiiieder!“, weil ich von Michele Ufer ja schon zwei Bücher zum Thema „Mentaltraining“ gelesen hatte und skeptisch war, was den Erkenntnisgewinn aus Buch Nummer Drei anging.
- Und drittens war da das Vorurteil, dass ich von übermenschlichen High-Performern wie Extrem-Bergsteigern, -Tauchern oder -Läufern sowie mir schon aus Prinzip unsympathischen Wirtschaftsmenschen wenig bis gar nichts lernen könnte.
Mein Alltag ist nämlich höchstens extrem normal bzw. langweilig. Mit der Welt irgendwelcher Business-Typen will ich nichts zu tun haben, und wie soll ich Aushilfs-Marathoni mich denn überhaupt mit jemandem vergleichen, der sich für 42 Kilometer nicht mal die Schuhe anzieht?
Ich kenne meine Grenzen – wirklich?
Als Bonus-Vorbehalt war ich vor dem Lesen schon ziemlich sicher, dass ich eigentlich schon über Grenzkompetenz verfüge. Ich bildete und bilde mir immer noch ein, ziemlich gut zu wissen, was ich z.B. beim Laufen zu leisten im Stande bin. Ich kann eine gute von einer schlechten Trainingseinheit unterscheiden und weiß vor einem Lauf in etwa über mein Leistungsvermögen bescheid. Und ich weiß auch, wo die Stellschrauben sind, mit deren Hilfe ich meine Grenze verschieben könnte – wenn ich denn noch mehr Kompromisse zwischen Familie, Arbeit und Hobby eingehen wollte.
Warum also ein Buch lesen, in dem nur Dinge stehen, die ich eh schon weiß? Naja, es schadet ja nicht, zu überprüfen, ob ich mit meiner Selbsteinschätzung richtig liege und ob ich nicht vielleicht doch noch an meinen Grenzen schrauben kann.
Kurzweilige und handliche Kapitel
Doch Limit Skills hat mich sofort mit seinem besonderen Charme gepackt. Michele Ufer hat bei der Recherche intensive und lange Gespräche mit Experten in Sachen Grenzerfahrung geführt. Die Ergebnisse hat er in handliche Kapitel gefasst, die sich locker und leicht hintereinander weg lesen lassen.
Die Erzählungen der Protagonisten sind kurzweilig, spannend und voller Aha-Momente. Bis auf wenige Ausnahmen sind sie eigentlich sogar etwas zu kurz geraten, weil man beim Lesen gerne noch etwas mehr über die interessanten Charaktere erfahren möchte. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob sie ihre Grenzerfahrungen beim Laufen, bei anderen Sportarten oder auf der Bühne sammeln.
Fast jeder der Befragten kommt zu einer Aussage, die man so ausschneiden oder kopieren und als Motto für das Hobby oder das nächste wichtige Projekt nehmen kann.
Grenzen können über Leben und Tod entscheiden
Denn im Grunde ist ihr Umgang mit Grenzen kein anderer als der eines normalen Menschen – nur dass ihre Grenzen woanders liegen und sie vielleicht sogar noch einen Tick sensibler beim Ertasten der Grenzen sind. Denn was für einen Normalo die Grenze zwischen Erfolg und Misserfolg ist, kann für einen Kletterer den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Die Experten der Extreme wagen sich im Grunde nur an Aufgaben, von denen sie wissen, dass sie sie auch meistern können. Ob es sich um einen Freeclimber, einen Apnoetaucher oder einen Fußball-Schiedsrichter handelt – sie alle beherrschen ihr Fach und können darum Dinge tun, die anderen Menschen übermenschlich erscheinen.
Das ist die Stärke von „Limit Skills“. Es führt dem Leser vor Augen, dass auch vermeintliche Übermenschen ganz normal sind. Und so schlägt das Buch die Brücke zum Alltag und zum Hobbysport. Sollten wir uns im Beruf, in der Familie und beim Hobby nicht ständig an Grenzen wagen? Wohlgemerkt: an Grenzen, nicht darüber hinaus. In der Wohlfühlzone lebt es sich zwar unfassbar angenehm. Aber wer sich einmal aus dieser bequemen Zone herauswagt und einen vorher vielleicht nicht für möglich gehaltenen Erfolg feiert, der hat bereits eine Grenze erkannt, getestet und verschoben. Dabei ist es egal, ob es darum geht, zum ersten Mal eine Runde im Park gelaufen zu sein oder sich auf irgendeine andere Erfahrung eingelassen zu haben. Nur wer offen für Neues ist, lernt seine Grenzen kennen und kann sie erweitern.
Oft hört man von erfolgreichen Sportlern, Rückschläge oder Niederlagen hätten sie stark gemacht. Als Normalo kann man sich meist nur schwer vorstellen, wie sie das meinen. Auch hier bieten die Protagonisten in „Limit Skills“ interessante Einblicke und eine Menge Inspiration.
Wissenschaftliche Ausflüge in die Psychologie
Garniert werden die Erlebnisberichte und Kurzinterviews mit locker und verständlich geschriebenen Ausflügen in die Welt der Psychologie. Dabei hält sich Michele Ufer dankenswerter Weise in aller Regel so kurz, dass man ihm auch bei diesen wissenschaftlichen Exkursen folgen kann.
Mich motiviert das Buch jedenfalls, weiterzumachen und zu testen, was ich als spätberufener Läufer noch erreichen kann. Wenn mich unbedarfte Menschen fragen, ob es nicht allmählich mit der Lauferei reicht, oder ob es nicht Wahnsinn ist, das Stilfser Joch hochzulaufen, weiß ich nun, was ich zu antworten habe. Eigentlich ist es eine Gegenfrage: „Wann warst du zuletzt stolz auf eine eigene Leistung?“ Dieser Stolz ist nämlich die Belohnung für das Erfahren und vielleicht sogar das Erweitern der eigenen Grenzen. Das mag anstrengend sein, aber es lohnt sich.
Fazit: Kaufempfehlung nicht nur für Sportler
„Limit Skills“ ist leicht verdaulich, aber nicht banal. Das Buch bietet jede Menge Denkanstöße, gewürzt mit leicht verständlicher Psychologie. Von der faszinierenden Welt des Extrem- und Hochleistungssports erlaubt es Rückschlüsse auf den eigenen Alltag, sei es im Beruf, in der Familie oder im Hobby. Es rückt vermeintlich lebensmüde Typen in ein anderes Licht und zeigt, dass selbst hinter – oberflächlich gesehen – halsbrecherischen Aktionen ausgeklügeltes Training, ein kühler Kopf und Besonnenheit stehen. Außerdem liefern die kleinen Geschichten jede Menge Stoff, der sich wunderbar anekdotisch weitererzählen lässt.
Infos
„Limit Skills„, Dr. Michele Ufer, Verlag Delius Klasing, 160 Seiten, 24,90 Euro
6 Antworten auf „Limit Skills – Inspiration für Alltag und Sport“