Fertig! Ende! Aus! Am Montag habe ich meinen letzten langen Lauf vor dem Antelope Canyon Ultra absolviert. Es war mein längster Lauf jemals. 52 Kilometer. Fehlen noch 28, die ich im Sand von Arizona irgendwie zusammenkratzen muss. Ich bin guter Dinge — wenn da nicht das Coronavirus wäre…
Vor Wettkämpfen neige ich zur Hysterie. Das fängt an mit schlaflosen Nächten, in denen ich über der Klamotten-Frage brüte, und endet mit Wahnvorstellungen von Dingen, die noch dazwischen kommen könnten. Da kommt das neuartige Coronavirus wie gerufen.
Diagnose: Reisefieber
Nein, ich habe keine Angst, mich mit Covid-19 anzustecken. Die Gefahr ist ja recht gering. Da fürchte ich eher Erkältungs- und Grippeviren (gegen letztere bin ich natürlich geimpft). Meine Hasstiraden gegen niesende Kollegen in den Tagen vor einem Marathon sind beinahe legendär. Vorhin im Bus entging ein Mädchen, das in der Reihe vor mir in seine Hand nieste, nur knapp einer wüsten Beschimpfung meinerseits. Meine Diagnose: Reisefieber.
Mehr als das Virus fürchte ich die Maßnahmen. Ich habe am Samstag sogar auf den Stadionbesuch verzichtet! Nicht aus Furcht, jemand könne mich mit Corona anstecken, sondern aus Angst, irgendwer könnte am Montag mit Husten zum Arzt gehen und erzählen, 81.000 mögliche Kontaktpersonen im Westfalenstadion gehabt zu haben. Schwupps — schon sitzen wir in Quarantäne statt im Flieger nach Las Vegas.
Lässt Trump die Grenzen offen?
Und dann ist da noch die Unsicherheit mit der Einreise. Lässt Trump die Grenzen offen? Was ist mit den Briten? Wir müssen doch in London umsteigen. Lässt Deutschland uns überhaupt raus? Macht der Flughafen Düsseldorf zu, weil ein Mitarbeiter in Heinsberg beim Karneval war? Fragen, Sorgen, Angst, Reisefieber.
Ansonsten treiben mich praktische Fragen um.
Gibt es Malzbier in den USA?
Seit dem Bottroper Herbstwaldlauf habe ich einen Narren an Malzbier bei sehr langen Läufen gefressen. Gibt es das in den USA? Muss ich welches importieren? Was dient gegebenenfalls als Ersatz?
Erstmals werde ich wohl Verpflegungsbeutel an den Versorgungspunkten deponieren — schön auffällige BVB-Taschen mit Malzbier oder ähnlichem Gesöff drin.
Die letzten Wochen: Blut, Schweiß und Training
Was mich auch immer beim Antelope Canyon Ultra erwartet, stolz bin ich schon jetzt. Das Training der vergangenen Monate war körperlich und mental das Härteste, das ich jemals durchgezogen habe. Ich habe literweise Schweiß und sogar ein paar Tränchen vergossen. Lange Läufe mögen körperlich anstrengend sein, mental sind sie eine riesige Herausforderung.
Um für Abwechslung zu sorgen, ging es über Karneval noch mal nach Baltrum. Bei absolutem Sauwetter und Sturm 20 Kilometer auf dieser winzigen Insel zu laufen, verlangt mental einiges ab. Ich lief durch Matsch, durch Sand und knöcheltiefe Pfützen und hatte jede Menge Spaß und Kampfgeist. Überhaupt habe ich fast jeden meiner Trainingsläufe für den Wüsten-Ultra bei Sauwetter absolviert. Richtig geil, ich liebe Sauwetter!
Mentale Krise bei Kilometer 35
Und trotzdem schlitterte ich bei meinem letzten langen Lauf in eine Krise. Irgendwo in Kamen oder Unna, bei Kilometer 35 oder so — schönes Wetter, Sonnenschein, nicht warm —, brach es heraus: Mir taten die Beine weh, ich war körperlich und geistig leer und eine Ewigkeit weit weg von zu Hause. Ich wollte nicht mehr, ich KONNTE nicht mehr. „Das ist nich nicht mal ein Scheiß-Marathon und ich bin im Arsch“, fluchte ich laut und fast heulend vor mich hin, als ich mal wieder die Hände auf den Knien abstützen und pausieren musste.
Aber genau das ist ja das Verrückte: Du kannst nicht, du willst nicht — dann mach einfach! Und überhaupt, was für eine Aussage: „Noch nicht mal ein Scheiß-Marathon!“ Habe ich nicht mal geschrieben, ein Marathon sei für mich das Höchste der Gefühle? Weiter würde ich nie laufen? Ultras seien viel zu elitär? „Nicht mal ein Marathon!“ Puh.
Verzweifelt in der Pampa
Da wurde mir klar, was ich gerade leistete. Und es machte die Sache nicht einfacher. Wenn du beim Marathon bei km 35 bist, weißt du, dass es bald vorbei ist, egal, wie hart die folgenden sieben Kilometer auch sein mögen. Aber hier in der Pampa zwischen Unna und Dortmund-Aplerbeck, erst 35 weg, noch mindestens 15 vor der Brust… ganz ehrlich, das ist scheiße.
Und dennoch habe ich es durchgezogen. Darum nehme ich nie Taxigeld oder mein Busticket mit. Ich würde es benutzen. Nach 52 Kilometern in der vom Trainer geforderten 7er Pace war ich wieder zu Hause. Gerädert und stolz.
Nicht nur das Laufen will trainiert sein
Nun ist sie also beendet, die Vorbereitung auf den Antelope Canyon Ultra. Ich habe viel, viel trainiert. Nicht nur das Laufen. Es gibt ja so viele Dinge! Ich will den Lauf ja ordentlich dokumentieren. Also habe ich bei einigen Trainingsläufen meine Actioncam und den Gimbal mitgenommen und geübt, die Gerätschaften so am Trinkrucksack zu befestigen, dass sie a) nicht stören und b) einfach herauszuholen sind, wenn ich sie brauche. Hat geklappt.
Apropos Trinkrucksack: Mit dem, bzw. mit der Blase von Camelbak stehe ich auf Kriegsfuß. Ich weiß nicht, wie viele Versuche ich benötige, um das Ding wasserdicht zuzuschrauben. Ich sehe mich schon beim Ultra das Zeitlimit reißen, weil ich an den Verpflegungsstationen immer 15 Minuten brauche, um meine Trinkblase zu schließen.
Dann natürlich die Klamottenwahl! Die Ärmlinge sitzen gut. Meine Salomon verleihen festen Tritt und die eigens gekauften Gamaschen sind kaum zu merken, sollen in Arizona den Sand fernhalten. Unfassbar, an was man alles denken muss…
Jetzt darf es dann auch wirklich endlich losgehen, bevor ich mich total verrückt mache.
Corona — das gönne ich mir!
Das Coronavirus wird mich voraussichtlich nicht stoppen. Das kann nur ich selbst, vermute ich.
Wenn ich im Ziel bin, bzw. irgendwann später, wenn ich nicht mehr im alkoholfreien Indianerland bin, dann werde ich mir vielleicht auch ein Corona gönnen. Eisgekühlt und aus der Flasche. Ich freue mich drauf!
Ach Stefan, Du rockst dss Ding. Da schreibst Du manchem Läufer aus dem Herzen und Einige werden sich wieder erkannt haben.
Du hast soviel mentale Stärke bewiesen… RESPEKT ?
Viel Erfolg und immer ein Fläschchen Malzbier im Gepäck.
Habe Frauchen auch wieder erkannt – sie dachte schon, sie ist allein bei „Mist, es geht alle schief, kompletter Einbruch, was soll das, was tue ich hier“-Tiraden im Training vor Ultras.
Du rockst das, der Virus kann und wird Dich nicht stoppen. Freu Dich auf den Antelope und das Corona danach 🙂
Gutes Ankommen.
Gruß Iwan und Frauchen
Ich ziehe den Hut vor deinem Durchhaltevermögen und wünsche dir eine geile Zeit und einen prima Lauf!